Kolumne: Andersnormal Denken

von Andrea Buchelt

von Kirsten Kampmann-Aydogan

Teil 2 – Synästhesie

Das Denken, Hören und Spüren in Farben

Um es leicht verständlich auszudrücken, möchte ich die Synästhesie beschreiben als das gleichzeitige Wahrnehmen von Außeneinflüssen mit der Verknüpfung von Farben, Gerüchen und Geschmäckern. Leider ist das Wahrnehmungsphänomen der Synästhesie noch nicht wirklich erforscht.  Laut Studien soll es bis zu 176 mögliche Synästhesieformen geben.

In dieser Kolumne möchte ich anhand eines Fallbeispiels deutlich machen, was es für einen Menschen bedeutet, gleichzeitig mehrere Wahrnehmungen miteinander zu koppeln. 

Im Interview mit Kristin S. - Grundschullehrerin

  • Kristin, es gibt ja die unterschiedlichsten Formen der Synästhesie, wie äußert sich das Phänomen bei Dir?

„Auf sensorischer Ebene ist die Koppelung an Farben sehr stark. Ich kann beispielsweise Musik und Töne sehen. Aber auch Düfte, Emotionen oder sensorische Empfindungen, wie Kälte, Wärme und Schmerz, treten immer in Kombination mit Farben auf. Die Intensität ist allerdings sehr unterschiedlich. Mit gehörter Sprache verhält es sich zum Teil auch so. Eigentlich kann man sagen, dass bei mir ALLES irgendwie mit Farben verwoben ist. Auch Buchstaben, Zahlen und z.B. die Wochentage haben ihre ganz eigenen Farben!“

  • Wie alt warst Du, als Du bemerkt hast, dass Deine Art zu Denken nicht der Deines Umfeldes entspricht? Und wie hast Du es für Dich enträtselt?

„Da war ich 22. Ich saß in einem Uni Seminar zum Thema „Lernen und Gedächtnis“, und es ging grade um spezielle Lernertypen. Es war eigentlich für mich eine sehr dröge Veranstaltung, und ich habe mich oft währenddessen mit etwas anderem beschäftigt. Als das Thema der Synästhesie erläutert wurde, habe ich mich an meine Nachbar/innen im Seminar gewandt  und gefragt: "Warum soll das jetzt besonders sein??? Ist doch klar, dass die 2 - grün, ein O - gelb und der Montag - rot ist...?!?" Die Reaktion war entsprechend: "Äääääähh, neeiiiiiin!!!" Das hat mich erstmal richtig umgehauen. Und nach dem ersten Schreck habe ich angefangen, mich aktiv mit der Thematik auseinander zu setzen!“ 

  • Wie sind Deine Eltern damit umgegangen?

„Mein Vater lebte damals schon nicht mehr. Mit meiner Mutter habe ich mal darüber gesprochen, dass ich auch Menschen mit einer oder mehreren Farben wahrnehme. Das fand sie interessant, aber mehr habe ich gar nicht wirklich erzählt. Ich habe und mache das größtenteils mit mir selbst aus!“

  • Du hattest mal erzählt, dass Du plötzlich für Dich festgestellt hast, dass es ein Nutzen ist, auf Deine ganz spezielle Art zu denken. Wie alt warst Du da und wie hast Du es bemerkt?

„Das war eigentlich direkt nach der Feststellung dieser "Besonderheit". Ich musste mich ja allein wegen des Studiums viel mit dem Lernen und mit meinem Gedächtnis auseinandersetzen. Dazu kam, dass wir damals in den ersten Semestern mit Klausuren nur so erschlagen wurden. Abgefragt wurde in vielen Kursen das gesamte Wissen aus dem gesamten Studienjahr. Also es war unheimlich viel Stoff. Ich hatte mich schon immer für Mnemotechniken (Gedächtnistraining) interessiert und dann festgestellt, dass mir das mithilfe des gezielten Einsatzes "meiner Farben" für die Gedächtnisleistung wahnsinnig hilft.

Ein Beispiel:

In meinem Studium war die Ringvorlesung Psychologie in verschiedene Unterbereiche gegliedert. Bei mir ist Pädagogische Psychologie - blau, Sozialpsychologie - orange usw. Ich habe die entsprechenden Schlüsselbegriffe mit den dazugehörigen Farben versehen. So prägte es sich stark in meinem Gehirn ein. Ich schaute mir dann im Gehirn den Farbbereich an und fand die abgespeicherten Informationen. Das ist natürlich trotzdem noch mit Anstrengung und Konzentration verbunden und braucht seine Zeit. Aber es funktioniert!“

  • War es bis zu diesem Zeitpunkt eher ein empfundener Nachteil?

„Nein, ich habe es ja vorher gar nicht bewusst wahrgenommen oder reflektiert. Es war und ist ja nun mal meine Wahrnehmung. Ich hatte nie erwartet, dass sie sich so stark von anderen unterscheiden könnte. Ich kann mir bis heute nicht vorstellen, wie man ohne diese Farben überhaupt durchs Leben gehen kann und nicht ständig alles vergisst, aber es geht ja ganz offensichtlich auch anders!“ ;o)

Ich kann mich im Nachhinein an einige Situationen in der Kindheit erinnern. Ich weiß, dass ich bei Kopfrechenspielen, bei denen es um Tempo ging, anfangs öfter eine Farbe genannt habe. Dann wurde natürlich gelacht und ich erinnere mich, dass ich dann irritiert war. - Ob man nun 11 oder hellblau sagt, ist doch egal?!?! - Aber vermutlich lernt man als Kind dann schnell, dass nur die Antwort zählt, die vom Lehrer/der Lehrerin gewünscht ist und fügt sich. Ich habe vorher allerdings schon immer wahrgenommen, dass ich deutlich schneller reizüberflutet bin, als meine Freunde/Mitbewohner usw. Von größeren Partys hatte ich immer ziemlich schnell genug. Später war mir dann klar warum, denn wenn alle Wahrnehmungen immer mit mehreren Impulsen auf einen einwirken, ist das einfach schneller reizüberflutend. Als mir das bewusst wurde, war ich auch mit mir selbst entspannter, denn nun gab es ja eine logische Erklärung für mich!“

  • Wie nutzt Du diese Gabe für Dich und Dein Umfeld?

„Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Ich finde es total entspannend, mir etwas Musik „anzugucken“. Also Musik an und mein Kopfkino an. Das bringt mich ziemlich gut runter. Toll ist es auch, jetzt im Frühling durch die Natur zu gehen und das Farbenspiel der Düfte wahrzunehmen. Für den Alltag gilt weiterhin, dass ich meine Gabe hauptsächlich für die Planung und das Gedächtnis nutze. Wenn ich z.B. die Schulwoche für meine Klasse plane, ist der entstandene Plan für viele Menschen sicherlich ein einziges Wirrwarr an Farben, Farbtönen, Pfeilen und Skizzen. Jedoch brauche ich nach der Planung gar nicht mehr groß reinschauen. Der Plan fräst sich quasi in mein Gehirn ein, und ich kann dann einfach dort nachgucken!“

  • Du bist Grundschullehrerin, kannst Du Deine Synästhesie auch dort zum Vorteil einsetzen?

„Wie schon gesagt, nutze ich die Synästhesie bei der Planung, aber ansonsten ist es mir gar nicht so richtig bewusst. Doch erlebe ich immer wieder, dass sich Menschen fasziniert in meiner Klasse umsehen, da ich sehr viel farbig codiere. Für mich ist es allerdings eine selbstverständliche Leitlinie und Orientierung, sowohl für die Kinder, als auch für die Erwachsenen.

Dennoch weiß ich, dass mich meine Erfahrung im Studium, sehr früh für verschiedene Lernertypen sensibilisiert hat und ich mir meine Schüler immer mit sehr wachsamen Augen, und mit allen Sinnen ansehe. Es ist ja bis heute so, dass Differenz als Defizit angesehen wird. Und in meiner Klasse ist "Differenz/Heterogenität/Andersartigkeit" an der Tagesordnung. Somit ist es für mich sehr wichtig, den Kindern zu vermitteln, dass das Anderssein völlig ok ist. Wenn Lernprobleme auftreten, gehe ich wertschätzend damit um. Wie in einer Detektivarbeit suche ich, gemeinsam mit den Schülern eine Lösung. Was dazu führt, dass auch meine "schwächsten" Schüler gerne und angstfrei zur Schule kommen. Das ist für mich sehr wertvoll. Dieses hat für mich jedoch weniger mit der Synästhesie als solcher zu tun, wohl aber mit meiner eigenen Lerner Biografie!“

An dieser Stelle einen ganz herzlichen Dan an Kristin S. für diese bewegende und offene Beschreibung.

Ein kleines Experiment

Wie in meiner  vorherigen Kolumne - Teil 1 - Was ist ein Bilderdenker? - möchte ich auch hier zu einem kleinen Experiment auffordern.

Lese bitte unten einmal zügig die Farben und fühle dann in Dich hinein!

 

 

Wie ist es Dir dabei ergangen? Konntest Du die Farben zügig lesen, oder musstest Du zweimal hinschauen?

Kannst Du Dir jetzt vorstellen, dass es für einen Menschen, der mit Buchstaben und Zahlen ganz eigene Farben verknüpft, ausgesprochen herausfordernd ist, in unserer oft so anders bunten Welt schnell zu reagieren. Und hier spreche ich nur einen ganz kleinen Teil des Phänomens Synästhesie an.

Viele Synästheten sind sich ihrer Fähigkeit gar nicht bewusst. Sie denken, wie Kristin, dass es allen Menschen so ergeht. Das Gleiche gilt für die Bilderdenker, die  Hochsensiblen und Sensitiven und vor allem auch für sehr viele Hochbegabte. Ich wünsche mir, dass ich mit dieser Kolumne nicht nur denen ein wenig die Welt der Andersdenker nahe bringe, die diese Persönlichkeitsmerkmale nicht zu den ihren zählen. Sondern dass auch dem ein oder anderen das Verständnis für seine eigene Gabe etwas klarer wird.

Zum Austausch für diese Andersdenker organisiere und moderiere ich an jedem letzen Mittwoch im Monat einen Stammtisch. Wenn Du Dich auch dazu zählst und gerne in gemütlicher Runde den Austausch mit Gleichgesinnten schätzt, möchte ich Dich sehr gerne dazu einladen. Nähere Informationen findest Du auf meiner Seite unter diesem Link: http://life-coach-bremen.de/angebote/stammtisch/

Ich freue mich auf Dich!

Kirsten Kampmann-Aydogan ist Psychosozialer Coach mit den Schwerpunkten Hochbegabung und Hochsensibilität. Seit 2011 begleitet sie Menschen auf ihrem Weg der Persönlichkeitsentwicklung.

Ihre Philosophie
„Inneres Gleichgewicht und Selbstwertgefühl sind die Grundvoraussetzungen zur Entfaltung von Talenten und Begabungen. Mit viel Herz, Empathie und Know How ist es mein Ziel,  Menschen zu unterstützen, Ihr volles Potenzial zu (er)leben!“


Kontakt und weitere Informationen finden Sie unter:

Kirsten Kampmann-Aydogan
Life-Coach Bremen

Tel. 0421 – 25 76547
info@life-coach-bremen.de
http://life-coach-bremen.de

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Kolumnistin Kirsten Kampmann-Aydogan
Kolumnistin Kirsten Kampmann-Aydogan

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