Schulgründerin und -vorsteherin


Spitzenkiel um 1910

Betty (Ilsabetha) Gleim (1781 -1827), Schulgründerin und -vorsteherin

Betty Gleim machte sich wohl als erste Frau in Bremen öffentlich Gedanken über die "Erziehung und Unterrichtung des weiblichen Geschlechts" mit dem Ziel der Selbständigkeit und Unabhängigkeit besonders der unverheirateten Frauen. Sie verurteilte die herrschende Auffassung, dass die Erziehung der Mädchen auf deren spätere Rollen als Gattinnen, Mütter und Hausfrauen ausgerichtet sein müsste, als lächerlich und absurd. "Tausende sind ein Opfer dieses Wahns geworden, Tausende sind in dem Unmut über eine ganz verfehlte Bestimmung in voller Untüchtigkeit und Untätigkeit trostlos zugrunde gegangen, haben ein Leben hingeschleppt, das kein Leben ist."
Durch die kluge und weltoffene Mutter erhielt Betty Gleim Anregung und Förderung. Im angesehenen großbürgerlichen Elternhaus diskutierte man über die französische Revolution und über die Schriften verschiedener Philosophen. Schon während des Besuchs der Elementarschule, wo Betty Gleim nicht viel mehr als Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt hatte, nahm sie Anteil an allen geistigen Strömungen, die auch in Bremen Verbreitung fanden. Der schweizer Rousseau- und Basedow-Anhänger Häfele predigte an der Ansgarii-Kirche und begeisterte sein Publikum von den neuen Ideen über Jugenderziehung und Ausbildung, und junge Philanthropisten und Privatlehranstalten beschäftigten sich mit einer naturgemäßen, harmonischen geistig-seelischen Bildung. Schon wurde für eine Bürgerschule Geld gesammelt, in der die neuen pädagogischen Erkenntnisse umgesetzt werden sollten. Die Knabenschule wurde 1799 auch gegründet, hielt sich aber nicht lange.
Doch alle Überlegungen und pädagogischen Neuerungen krankten an einem entscheidenden Punkt: Mädchen kamen in diesem reformierten Erziehungskonzept so gut wie nicht vor. Basedow war wie Rousseau der Auffassung, dass "Die ganze Erziehung der Töchter (...) ihre Absicht auf das männliche Geschlecht haben (muß). Den Männern gefallen und nützen, sich ihre Liebe und Hochachtung erhalten, sie verpflegen, ihnen raten, sie trösten, ihnen das Leben annehmlich und süß machen, das sind zu allen Zeiten die Pflichten des weiblichen Geschlechts, diese muß man dasselbe von Jugend auf lehren."
Fasziniert von den Grundideen neuen Pädagogik, begann Betty Gleim die Erziehungsziele auch auf Mädchen zu übertragen. Dabei musste sie zwangsläufig die herrschende Auffassung anzweifeln. Glück konnte keine Geschlechterfrage sein. Sie statuierte den Glücksanspruch der Frauen durch Bildung, Wissen und Selbstständigkeit. Sie wollte den Frauen zeigen, dass ihre Aufgabe nicht im Dulden und Leiden, Schweigen und Ertragen läge, sondern im Erkennen und Lernen, im Begreifen und Tun, im Selbstständigwerden. Nach ihrem Konfirmandenunterricht beschloss sie als Achtzehnjährige, Lehrerin zu werden und Mädchen zu unterrichten. Sie wusste, dass es keine LehrerInnenausbildung gab. Sie wusste aber auch, dass Frauen trotzdem unterrichteten. Schon seit Beginn des 17.Jahrhunderts unterwiesen Laien Kinder in sog. Klipp- und Winkelschulen. So gab es 1625 fünfzehn solcher Schulen, 1638 waren es schon 26 und 1788 gab es über 100 Nebenschulen. Die meisten dieser Schulen leiteten Frauen, Soldatenwitwen, Näherinnen und Seemannsfrauen, die in ihren Wohnungen gegen Schulgeld 20, 30 und 40 Jahre lang Unterricht erteilten. Diese Schulen existierten illegal neben den ordentlichen Kirchspielschulen und stellten für diese eine ernsthafte Konkurrenz dar. 1748 gab ist z.B. im Stephani-Viertel 17 Klippschulen, 14 davon wurden von Frauen geführt.
Betty Gleim studierte autodidaktisch die Pädagogen und Philosophen ihrer Zeit und besuchte renommierte Erziehungsinstitute, u.a. war sie bei Pestalozzi in der Schweiz. Sie las Goethe, Klopstock, Schiller und stand in regem Gedankenaustausch mit dem Onkel ihres Vaters, dem Dichter Ludwig Gleim. So erarbeitete sie sich die Grundlagen ihres pädagogischen Konzepts. Sie erkannte, vermutlich auch auf Grund ihrer eigenen gescheiterten Verlobung, dass die Ehe weder eine materielle Versorgung, noch ein erfülltes Leben für die Frau garantierte. In einer Ausbildung lag ihrer Meinung nach der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben. 1806 eröffnete die Pädagogin am Spitzenkiel die erste höhere private Mädchenschule Bremens. Damit legte sie auch die Grundlage ihrer eigenen selbstständigen Berufstätigkeit. Hier stand nicht mehr eine Laiin oder Gouvernante, sondern eine Pädagogin, die ein Bildungsinstitut leitete und die Fächer Religion, Geschichte, Geografie, Mythologie, mündlichen und schriftlichen Ausdruck unterrichtete.
Da es keine Schulbücher gab, verfasste Betty Gleim eine Fülle pädagogischer und fachlicher Werke: 1810 "Die Erziehung und Unterrichtung des weiblichen Geschlechts", die "Fundamentallehre oder Terminologie der Grammatik der deutschen Sprache" und das "Erzählungs- und Bilderbuch zum Vergnügen und zur Belehrung der Jugend". 1809 und 1810 erschienen die beiden Bände "Lesebuch zur Uebung in der Declamation" und 1814 die Abhandlung "Was hat das wiedergeborne Deutschland von seinen Frauen zu fordern?". 1814 veröffentlichte sie die "Randzeichnung zu dem Werke der Frau von Stael über Deutschland" und "Einige Gedanken über Stilübungen". 1815 ergänzte Betty Gleim ihre pädagogischen Schriften mit den "Rechtfertigungen einiger Begriffe der Fundamentallehre".
Bald wurden in ihrer renommierten Schule über 80 Mädchen unterrichtet, auch in den Fächern Physik, Geografie und Mathematik. 1819 versuchte sie nach Zeichenkursen in München und einer Steindruckerausbildung in Frankfurt/M. eine Lithografieanstalt in Bremen einzurichten. Sie versprach sich von einer praktischen Ausbildung der Frauen in diesem einträglichen Gewerbe eine zukunftsfähige Erwerbsarbeit zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz. Betty Gleim investierte in Maschinen und in die Werkstatteinrichtung und sie holte Lehrer nach Bremen. Doch sie scheiterte am Widerstand der Behörden und am Desinteresse der "bremischen Frauen, die hier unabhängig werden sollten, (sie) ließen die Unternehmerin im Stich". 1827 starb Betty Gleim nach langer Krankheit und körperlicher Erschöpfung im Alter von nur 46 Jahren in den Armen ihrer Freundin und Mitarbeiterin Sophie Lasius. Vielen in Bremen fällt zu Betty Gleim nur ihr Kochbuch ein, mit dem die Schulgründerin 1814 beweisen wollte, dass Hausfrauenarbeit und intellektuelle Interessen durchaus keine unüberbrückbaren Gegensätze sein müssen.
Für die nachfolgenden Frauenrechtlerinnen wurde sie zum Vorbild. Die bürgerlichen Pädagoginnen nahmen Betty Gleims Vorschläge auf und setzten sie bei der Gründung von Lehrerinnenseminaren, Elementarschulen, Mädchenschulen und Industrieschulen um.

 Literatur  
- Cyrus, Hannelore: Frei geboren!, S.181 ff., Bremen 1997
- Entholt, Hermann: Geistiges Leben Bremens in 400 Jahren, S.12, 186,187, Bremen 1936
- Feyl, Renate: Der lautlose Aufbruch. Frauen in der Wissenschaft, S.74 ff., Frankfurt/M. 1989
- Kloos, Werner: Die Bremerin, S.31 ff., Bremen 1965
- König, Johann-Günther: Die streitbaren Bremerinnen, S.95 ff., Bremen1981
- Nagel, Michael in: Wittheit zu Bremen (Hrsg.): Jahrbuch 1993/94, Klassizismus in Bremen, S.213 ff., Bremen 1994
- Pöppel, Ingrid in: Bremer Frauen von A bis Z, S.209 ff., Bremen 1991
- Wulff,Hinrich: Geschichte der bremischen Volksschule, S.23, Bremen 1950