gen. "Fisch-Lucie", Fischhändlerin

Lucie Flechtmann (1850 -1921), Fischhändlerin

Lucie Hartig stammte aus einer alteingesessenen Fischhändlerfamilie, die nachweislich 200 Jahre in dieser Branche tätig war. Die Händlerin hatte ihren Stand vor der Neuen Börse am Bremer Marktplatz (heute Bürgerschaft) und verkaufte dort den "feinen Leuten" Aal, Stör und Lachs, den "kleinen Leuten" Scholle, Butt, Hering, Schellfisch und Kabeljau und allen Leuten Stint, einen in Bremen besonders beliebten Fisch, dessen Name schon sagt, dass er beim Braten stinkt. Neben ihrer Beufstätigkeit versorgte sie ihre sechzehn Kinder, die sie aus zwei Ehen hatte.
Lucie Flechtmann war eine marktbeherrschende Fischfrau. Mit Geschäftssinn und Durchsetzungsvermögen baute sie ihre Marktstellung in dieser typischen Bremer Branche auf und scheute keine Mühe, um diese Position zu halten. Sie war von sich selbst und der Qualität ihrer Ware überzeugt und reagierte aufgebracht, wenn jemand wagte, die Frische ihres Fischs in Frage zu stellen. Das Arbeitspensum, das sie täglich bewältigte, ist heute kam noch vorstellbar. Um die Konkurrenz auszuschalten, kaufte sie ein Boot und fuhr bereits in der Nacht den heimkehrenden Fischern auf der Weser entgegen. Sie handelte ihnen die beste Ware ab, um sie an ihrem Stand anzubieten. Es konnte vorkommen, dass sie allen Fisch aufkaufte. Dann hörten die anderen Händler nur: "Lucie hett all upköfft!" und hatten das Nachsehen. Sie mussten bei Lucie, natürlich teurer als bei den Fischern, ihre Ware besorgen.
Ein Einkauf bei "Fisch-Lucie" hatte immer Unterhaltungswert und konnte auch zum Abenteuer werden. Die Fischfrau war nicht nur wegen ihrer einwandfreien Ware berühmt, sondern auch wegen ihrer Schlagkräftigkeit in Wort und Tat. In breitem Bremer Plattdeutsch parierte sie Bemerkungen, Fragen und auch Streitigkeiten. Es konnte durchaus vorkommen, dass sie einen Fisch griff und ihn der Person, von der sie sich attackiert fühlte, um die Ohren schlug. In einer Fülle von Anekdoten sind ihre Wortwechsel festgehalten. Nie war sie um eine Antwort verlegen, immer hatte sie das letzte Wort. Von niemandem ließ sie sich einschüchtern, weder von den "feinen Leuten", noch von richterlichen Obrigkeiten. Gerade ihre unerschrockene Art sogenannten höher gestellten Personen gegenüber und ihre oft deftige Sprache trugen zu ihrer Popularität bei.
So soll sie einmal mit einem Schellfisch auf eine andere Fischfrau eingeschlagen und sie dabei am Kopf verletzt haben. Als sich Fisch-Lucie deswegen vor Gericht verantworten musste, fragte sie der Richter, ob es nicht auch ein paar scharfe Worte getan hätten. "Och, Herr Richter", versetzte Lucie, "geradezu beleidigen wollte ich ihr dscha nu auch wieder nicht!" Als sie einmal als Zeugin vor Gericht aussagen sollte, fragte sie der Richter, ob sie den Vorgang auch selbst gesehen hätte. Lucie antwortete: "Nee, Heer Rat!" Als der Richter weiterfragte, woher sie denn dann ihr Wissen hätte, erwiderte Lucie "Datt heff ick hört, Heer Rat". Der Richter hielt Lucies Aussage für unbrauchbar und schickte sie nach Hause. Lucie war verärgert und knallte die Tür vom Gerichtssaal beleidigt zu. Sofort zitierte sie der Richter zurück und verdonnerte sie zu einer Geldstrafe. Doch die streitbare Fischhändlerin zahlte nicht: "Nee, betahl ich nicht!" Der Richter: "Warum, bitte, wenn ich fragen darf?" Lucie: "Hebbt Se wat sehn? - Also weer dat ok nix. Denn wat Se blots hört hefft, dat gilt vör Gericht doch nich!"
Lucie Flechtmann war sehr beliebt. Hinter ihrem rauhbeinigen Auftreten verbarg sich Menschlichkeit, Anteilnahme und Warmherzigkeit. Armen Leuten steckte sie großzügig Fisch zu und einer mittellosen Bekannten zahlte sie die ganze Aussteuer. Als Sponsorin des Neustädter Fußballvereins "Stern" - damit war sie die erste Sportförderin Bremens- kümmerte sie sich engagiert um die jungen Kicker und nahm bis ins Alter regen Anteil an den Spielen und dem Vereinsleben. Die Fußballer holten sie zu Hause ab und trugen sie auf einem Stuhl zum Hohentorsplatz, wo gespielt wurde. Denn Lucies wortgewaltige Anteilnahme am Geschehen konnte schon der halbe Sieg sein.
"Fisch-Lucie" gehört zu den Bremer Originalen. Sie wäre in diesem Jahr 150 Jahre alt geworden.

 Literatur  
- Dünnbier, Ernst B.R.: Bremen best, S.32 ff., Bremen 1995
- Fuhrmann, Helga in: Bremer Frauen von A bis Z, S.444 ff., Bremen 1991
- König, Johann Günther: Bremer Originale, S.117 ff., Bremen 1990
- Steinberg, Werner in: Illustrierte Geschichte von Turnen und Sport im Land Bremen, Bd.1, S.153 ff., Bremen 1999