Motorrad- und Fahrradhändlerin


Hohentorstraße 49/53

Selma Swinizki (1882 -1938), Motorrad- und Fahrradhändlerin

Selma Stiefel wurde in Hamburg geboren. Sie wuchs wohlbehütet als jüngstes Kind mit zwei Brüdern und drei Schwestern auf. Ihre Eltern verfügten sicher über keine Reichtümer, dennoch war es für den Vater, den Schuhmacher Koppel Stiefel, und die Mutter Elise selbstverständlich, den Kindern eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Selma Stiefel besuchte die Fröbelschule für Erzieherinnen. Anschließend erlernte sie noch den Beruf der kaufmännischen Sekretärin, um kaufmännische Angestellte zu werden. 1916 heiratete sie den Schlosser Josef Swinizki, der 1911 aus der Ukraine nach Deutschland zugewandert war und seit 1914 in Bremen lebte. Am Ende des Ersten Weltkriegs kaufte das Ehepaar in der Hohentorstraße in der Bremer Neustadt das Doppelhaus Nr.49 / 53, kurz nachdem die deutsche Regierung am 3.Oktober den Amerikanern ein Waffenstillstandsangebot unterbreitet hatte.
In dem Haus richteten Selma und Josef Swinizki eine Fahrradhandlung ein. Selma Swinizki übernahm die Geschäftsführung. Sie organisierte den Ein- und Verkauf und führte die Bücher, Josef Swinizki leistete die Reparaturarbeiten. Das Geschäft florierte und die Unternehmer erweiterten ihr Sortiment mit Nähmaschinen und Motorrädern. Es war ein Warenangebot, das auf die Bedürfnisse ihrer Kunden, den Arbeiterfamilien der umliegenden Brauereien, ausgerichtet war. Die unterschiedlichen Kompetenzen der Eheleute, ihre kaufmännischen und seine handwerklichen Fähigkeiten, garantierten den Erfolg.
Neben der Geschäftsführung versorgte Selma Swinizki den Haushalt und die vier Kinder, die zwischen 1917 und 1925 geboren wurden. Selma Swinizki kümmerte sich auch um die religiöse Erziehung. Ein Sohn wurde später Rabbiner in New York.
Niemand hatte sich bisher darüber Gedanken gemacht, dass die Swinizkis Juden waren. Nachbarn und Kunden schätzten die Familie, bei der man gut einkaufte, die preiswert Reparaturen ausführte, die freundlich im Umgang war. Am 1.April 1933 änderte sich das Verhältnis schlagartig. Die Nationalsozialisten riefen zum Boykott der jüdischen Geschäfte auf. Die Umsätze begannen sich zu verringern. Weitere Boykottaufrufe folgten, die ab 1935 zu immer dramatischeren Einbußen führten. Ab 1937 konnten Selma und Josef Swinizki überhaupt keine Gewinne mehr erwirtschaften. Doch sie glaubten an eine vorübergehende Repressalie, eine persönliche Gefährdung konnten sie sich überhaupt nicht vorstellen.
In der Nacht vom 9. zum 10.November 1938 brannte die Synagoge in der Gartenstraße im Schnoor (heute Kolpingstraße). Jüdische Bürger und Bürgerinnen wurden zusammengetrieben, Türen und Fenster ihrer Geschäfte eingeschlagen und das Inventar zertrümmert oder geplündert. Die fatalen Befehle, die zu ungeheurer Grausamkeit, Zerstörungswut und schließlich Mord führten, lauteten: "Sämtliche Juden sind zu entwaffnen. Bei Widerstand sofort über den Haufen schießen" und "Jüdisches Eigentum ist zu demolieren, die Juden sind sicherzustellen. Es ist anzunehmen, daß Widerstand geleistet wird. Der Widerstand ist mit der Waffe zu brechen. Es wird auf jeden Fall Widerstand geleistet". In das Geschäftshaus der Swinizkis stürmte SA-Obersturmführer Josef Heike. Josef Swinizki wurde von dem Lärm auf der Straße noch rechtzeitig wach, er konnte mit den Kindern fliehen. Im Schlafzimmer fand der ehemalige Verkäufer und Schaufensterdekorateur nur mehr Selma Swinizki. Als sie ihm auf die Frage nach ihrem Mann keine Antwort gab, erschoss er sie.
Am 6.Dezember 1938 meldete Josef Swinizki das Geschäft ab. Nach einer Odyssee durch halb Europa gelang ihm mit den Kindern die Emigration nach Kanada.
Heute erinnert ein großer schwarzer Gedenkstein im Schnoor an Selma Swinizki und die vier anderen Ermordeten jener Nacht.

 Literatur  
- Rübsam, Rolf: Sie lebten unter uns, S.92, 93, 120
- Der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen (Hrsg.): "Reichskristallnacht" in Bremen, S.43-45, 48, 52, 56, 72, Bremen 1988