Kolumne: Kleine Stresssprechstunde

von Andrea Buchelt

von Andrea Schweers

Gute Gründe für ein Leben ohne Thermomix und Co

Ein Plädoyer für lebendiges Kochen

Fast wäre er an mir vorbei gegangen – der Hype um den Thermomix TM 5 - das vermeintliche Multitalent, das wiegen, umrühren, dünsten, kochen, mixen kann, je nach Bedarf im entsprechenden Modus. Sogar einen Häcksel-Modus gibt es – ein Begriff, den ich bisher ausschließlich der Gartenarbeit zugeordnet habe.

Gekauft werden kann dieses Multitalent weder per Katalog noch im Laden. Möchten wir ihn erwerben, dann nur als Gast eines Verkauf-Kochabends – „Erlebnis Kochen“ genannt, eine ähnliche Verkaufsstrategie wie bei den mittlerweile aus der Mode gekommenen Tupper Partys.

Doch die Rechnung scheint aufzugehen. Es gibt geradezu einen Thermomix-Boom und Lieferzeiten von mehreren Wochen. Dabei ist der Thermomix nicht neu. In anderen Modellen ist er schon seit 1961 auf dem Markt. Es stellt sich die Frage: warum ist gerade jetzt die Zeit dafür „reif“?

Nachdem ich mich nun eine Zeit lang damit beschäftigt habe, stellt sich mir jedoch zuallererst die Frage: Warum überhaupt? Es gibt nämlich viele gute Gründe für ein Leben ohne Thermomix!

Thermomix – ein „reiz-starkes“ Intermezzo

Es macht

Pffff, Pfffff

Srrrrrrrr

und Rrrroooooaaaaahhhh ab Stufe 5 (dabei gibt es 10 Stufen).

Und es macht ding, ding, duong.

Das Letzte ist das Signal, das verkündet, dass der jeweilige Kochschritt vollendet ist – und zwar so lange, bis wir auf den Knopf drücken. Und falls jemand nach dem Schalter suchen sollte, der die Lautstärke reguliert, der wird enttäuscht werden. Da müssen wir durch. So wird Kochen zur Herausforderung für unser Nervenkostüm.

Ach so – beinah vergessen: es dampft, es dampft durch ein Loch im Deckel des Thermis (wie er von einigen seiner Anhänger liebevoll betitelt wird). Wer nicht darauf steht, dass das Kondenswasser die Unterseite des Küchenschranks vollständig einnebelt, der stelle den Thermi vorsichtshalber unter die Dunstabzugshaube. Lärmtechnisch eine gelungene Koalition – eine Kakophonie für die Ohren geradezu. Stiftung Warentest hat bis zu 97 Dezibel beim Mahlen von Mandeln im Häcksel-Modus gemessen - 90 Dezibel entsprechen der Lautstärke in einer lauten Fabrikhalle. Im Testergebnis landet der TM5 mit Qualitätsmerkmal befriedigend demnach nur auf Platz 4.

Thermomix – weg von der Natur der Dinge

Ein Sprichwort sagt: „Die Königin der Kochrezepte ist die Fantasie“ und in manchen Kulturen wird davon gesprochen, dass die Energie des Kochs in die Mahlzeit fließt. Wenn dem so ist, versteht es sich von selbst, dass auch der Vorgang des Kochens mehr dem einer Zeremonie gleicht und eines Umfeldes bedarf, das frei ist von Anstrengung, Ehrgeiz und Zeitdruck. Das Tun taucht ein in volle Aufmerksamkeit.

Unsere Nahrung ist einer unserer wichtigsten Energieträger. Das, was wir essen, und wie wir es essen hat großen Einfluss darauf, wie wir uns fühlen. Wir sind ein Teil der Natur, eingebunden in den Kreislauf des Lebens und mit unseren Lebensmitteln schenkt uns die Erde Kraft und Anbindung. Je frischer ein Lebensmittel ist, umso mehr Energie spendet es uns. Wir können uns dafür bedanken, indem wir es mit Bedacht und Wertschätzung behandeln. Das bedeutet, wenn wir kochen, dann kochen wir und sind präsent ganz in diesem Moment.


Vielleicht klingen diese Sätze seltsam in einer Welt, in der Ablenkung und Zerstreuung zu den üblichen, kaum hinterfragten Freizeitgewohnheiten gehören und Multitasking nach wie vor als begehrte Fähigkeit gilt. Dabei ist längst schon bekannt, dass genau dieses dazu führt, dass wir uns nach einiger Zeit gestresst und ausgelaugt fühlen.

Auch die Anhänger der Thermomix Fangemeinde beschreiben Zeitersparnis und die Möglichkeit gleichzeitig etwas anderes zu tun als großen Vorteil dieser Kochmethode. Aber was tut Mann/Frau, bis der „Thermi“ sich wieder meldet und zum nächsten Arbeitsschritt ruft? Z.B. Videos posten oder solche anschauen, in denen haargenau geschildert wird, was heute wieder Wunderbares mit dem Thermomix „gezaubert“ wurde. Es ist die Welt der „Thermofeen und Thermomäuse“, die ihren Anhängern (auch Follower genannt) sämtliche Feinheiten der Thermomix Küche präsentieren.


Thermomix – und rein in die Unselbstständigkeit

Im Zeitalter der Digitalisierung verbringen wir alle, mehr oder weniger freiwillig, viel Zeit mit Laptop, Smartphone und Handy. Kommunikation über Social Media, Email-Erreichbarkeit und Whatsapp Nachrichten sind Teil unseres Alltags und unserer Kommunikationsstruktur. Auch der Thermomix will hier anknüpfen. Während des gesamten Kochprozesses darf Koch/ Köchin über das Display „minutiös getaktete Anweisungen“ entgegennehmen. Guided cooking (was so viel bedeutet wie Betreutes Kochen) nennt der Hersteller dieses Phänomen, und es soll das „Must Have“-Argument schlechthin sein.

Das Display zeigt an, was wir zu tun haben während der Automat den Rest erledigt. Und der Rest ist eigentlich all das, was den Prozess sinnlichen Kochens ausmacht. Wer den Thermomix anschaltet, kann sein Gehirn ausschalten. Und die Verantwortung für das Resultat ein für alle Mal abgeben. Wer bisher meinte, nicht kochen zu können, lernt es so ganz bestimmt nicht mehr.

Warum berauben wir uns dieser Erfahrungen? Oder geht es vielleicht ja auch um etwas ganz anderes?


Fazit

Warum dieser Run auf den Thermomix bei mittelmäßigen Testergebnissen? Warum 1199 Euro ausgeben für ein Küchengerät, das den Spass am Kochen drastisch reduziert? Ist es der Wunsch etwas haben zu müssen, sich etwas verdient zu haben in einer Welt, die außen aus den Fugen geht, ohne dass wir Einfluss darauf haben? Oder folgt der Thermomixhype mit seinem guided cooking nur dem Trend des self tracking ?

Mir schwirrt der Kopf von alldem und ich spüre den Wunsch nach Ruhe und Einfachheit.

Ich bin ein Teil der Natur. Ich möchte mich verbunden fühlen.


Ich will nicht kontrollieren und auch nicht immer das gleiche, sichere Ergebnis. Ich will keine Perfektion und ich mag meine alten Kochlöffel und meine selbst kreierten Kochrezepte, die oft daraus entstehen, dass ich irgendetwas gerade nicht da habe.

Ich will schnippeln, rühren, riechen, schmecken, sehen, hören und verändern. Deckel auf, Deckel zu. Mehrere Töpfe auf dem Herd und zwischendurch probieren.

Ich will Fehler machen und lernen und verantwortlich sein – dafür wenn es anbrennt und dafür wenn es einfach nur toll schmeckt.

 

Andrea Schweers ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und Stressbewältigungs und Entspannungstherapeutin. Menschen individuell auf ihrem Weg zu begleiten mithilfe ihrer eigenen, natürlichen Ressourcen ist ihr Anliegen.

„In jedem von uns wohnt ein innerer Arzt“.

Sie arbeitet mit körperorientierten Verfahren und bietet achtsamkeitsbasierte Stressbewältigungskurse und Seminare mit bestimmten Schwerpunkten an.

Naturheilkundezentrum Midgard
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28195 Bremen

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Kolumnistin Andrea Schweers
Kolumnistin Andrea Schweers

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